19. Dezember 2020

D&O Ansprüche sind Ansprüche eigener Art? Nein!

Mit seiner Leitsatzentscheidung vom 18. November 2020 hat der IV. Zivilsenat des BGH die bisherige, einhellige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte gekippt und in seiner Begründung darauf verwiesen, dass die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und leitenden Angestellten (R+V Versicherung-ULLA) so auszulegen sind, „wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.“

Versicherungsunternehmen (und auch die Oberlandesgerichte) hatten in Ansprüchen auf Ersatz von Zahlungen, die erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden, bisher keinen gesetzlichen Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG gesehen. Sie hatten diese als „Ansprüche eigener Art“ deklariert und eine Deckung aus der D&O-Versicherung mit dieser Begründung abgelehnt.

Gerade für Insolvenzverwalter, die – wie im vorliegenden, vom BGH beurteilten Fall – abgetretene Rechte auf Versicherungsleistungen aus einer D&O-Versicherung beanspruchen wollten, war diese Interpretation nachteilig, weil sie Schadensersatzansprüche bei der Versicherung nicht durchsetzen konnten. Das Urteil des BGH wird ihre Position nun stärken.

Über diese Klauseln der D&O-Versicherung hatte der BGH zu urteilen

"1. Gegenstand der Versicherung
1.1 Versicherte Tätigkeit
Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin, einem Tochterunternehmen oder einem auf Antrag mitversicherten Unternehmen begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.  

… 

1.3 Versicherte Schäden 
Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden (Tötung, Verletzung des Körpers oder Schädigung der Gesundheit von Menschen) noch Sachschäden (Beschädigung, Verderben, Vernichtung oder Abhandenkommen von Sachen) sind noch sich aus solchen Schäden herleiten.“

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Maßgeblich sind Beurteilung und Verständnis des typischen Adressaten- und Versichertenkreis

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dem BGH zufolge so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs und seiner Interessen versteht. Handelt es sich – wie bei der D&O-Versicherung – um eine Versicherung für fremde Rechnung, kommt es darüber hinaus auch auf die Interessen und Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter an.

In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln (diese entsprechen im vorliegenden Fall den Musterbedingungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV) sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.

Bei der Auslegung der Klauseln kommt der Versicherungsnehmer/Versicherte einer D&O-Versicherung dem BGH zufolge zu dem Ergebnis, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch ein bedingungsgemäßer gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz ist. Eine andere Beurteilung könne selbst von einem geschäftserfahrenen und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten, dennoch nicht juristisch oder versicherungsrechtlich vorgebildeten Versicherungsnehmer/Versicherten einer D&O-Versicherung nicht erwartet werden.

Rechtsdogmatische Überlegungen, die zu einer Einstufung des § 64 S. 1 GmbHG als Ersatzanspruch eigener Art führen (und der bisherigen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung entsprachen) kann und muss der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte beim Bemühen um das Verständnis des Bedingungswerks nach Auffassung des BGH nicht anstellen.

BGH stellt klar: D&O-Versicherung schützt in erster Linie nicht die Vermögensinteressen der Versicherungsnehmerin (Gesellschaft), sondern die der von ihr versicherten Personen

Daraus ergibt sich, dass der durchschnittliche Versicherte erwartet, dass die D&O-Versicherung sein Interesse daran schützt, keine Vermögenseinbußen infolge von gegen ihn gerichteten Schadenersatzforderungen zu erleiden. Er wird deshalb nicht annehmen, dass das gerade für ihn bedeutende und potentiell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 Satz 1 GmbHG von der Deckung der D&O-Versicherung deshalb ausgenommen sein soll, weil ein Vermögensschaden nicht bei der Versicherungsnehmerin selbst, sondern bei ihren Gläubigern eingetreten ist.

Das BGH-Urteil ist wichtig und dürfte weitreichende Konsequenzen haben, insbesondere, weil die allgemeinen Ausführungen des BGHs zur Auslegung von Versicherungsbedingungen nicht nur speziell für D&O-Versicherungen, sondern für sämtliche Allgemeine Versicherungsbedingungen gelten.